Die Memminger Stadtmauer
Jahrhundertelang sorgten sich die Bürgerinnen und Bürger der Reichsstadt Memmingen um ihre Sicherheit – und errichteten, erweiterten und reparierten mit sehr großem Aufwand ihre Stadtbefestigung. Tore, Türme und Mauern sollten die Menschen vor drohenden Gefahren schützen, was freilich nicht immer gelang – man denke nur an die bekannten 30 Jahre im 17. Jahrhundert, als Hunderte Frauen und Männer schanzten und verteidigten und letztlich doch nicht verhindern konnten, dass fremde Regimenter unsere Stadt besetzten.
Diese Zeiten sind vorüber - heutzutage suchen nicht mehr feindliche Augen die Stadtbefestigung nach Lücken und Schwachstellen ab, sondern Geschichtsinteressierte und Touristen nach historischen Spuren. Zur "Stadtmauer von Memmingen" ist eine umfangreiche Publikation von Dr. Christian Kayser erschienen, die beim Historischen Verein bezogen werden kann.
Seit 2019/20 saniert die Stadt Memmingen mit finanzieller Unterstützung des Freistaates Bayern in mehreren Bauabschnitten einzelne Partien der Stadtbefestigung. Die denkmalpflegerischen Maßnahmen sind zugleich Teil des 2019 verabschiedeten Stadtmarketingkonzeptes, das der Memminger Altstadt (und seiner Ummauerung) eine besondere Rolle zuspricht.
Die Memminger Stadtmauer ist mit ihren einst sieben Toren und 26 Türmen das größte Denkmal der Stadt. Zwar gingen unter anderem die Rundtürme an den Eckpunkten in den Napoleonischen Kriegen und die östliche Partie im Zuge der gründerzeitlichen Öffnung der Stadt verloren, doch finden sich verschiedenen Stellen „Points of Interest“, die von der Geschichte der Stadt und ihrer Menschen erzählen (Zusammenstellung: Dr. Christian Kayser, an wenigen Stellen ergänzt durch Christoph Engelhard).
Einlass
Durch den Einlass gelangten einst Menschen kontrolliert in die (Vor-)Stadt, wenn die Stadttore abends bereits geschlossen waren. Der vielgestaltige Bau wurde 1474/75 errichtet und besteht aus einem Haupttor (mit innerem Zwingerhof) und einem Vortor (mit äußerem Zwingerhof).
Lueginsland
Der Lueginsland wurde im Zusammenhang mit der Einbeziehung der Ulmer Vorstadt in die Stadtbefestigung im 15. Jahrhundert errichtet und einst einer der höchsten Türme Memmingens. Bei der erzwungenen Entfestigung Memmingens musste er 1805 vollständig abgetragen werden. Der hölzerne Wehrgang hinaus zum Ulmer Tor bzw. nach Süden bis zum Einlass wurde wegen Baufälligkeit 1902 abgebrochen.
Ulmer Tor
Das Ulmer Tor, bis ins 19. Jahrhundert "äußeres Niedergassentor" genannt, wurde 1375/85 errrichtet, um 1470 aufgestockt und 1499 um ein Vortor erweitert. Neben dem Kempter Tor hat es seine mittelalterliche Gestalt bewahrt, wenngleich die einstige feldseitige Bemalung (Ziffernblatt, Heiligenfiguren) nur noch fragmentarisch erhalten ist.
Westertor
Während der Belagerung Memmingens im Dreißigjährigen Krieg wurde das mittelalterliche Westertor 1647 zerstört und anschließend neu errichtet; die heutige Gestalt des Tores reicht ins Jahr 1660 zurück.
Lindauer Tor
Wie das Westertor wurde auch das Lindauer Tor, zu reichsstädtischer Zeit "Krugstor" genannt, 1647 schwer beschädigt. Beim Wiederaufbau wurde im Obergeschoss des Tores ein repräsentativer Raum für den bayerischen Stadtkommandanten eingerichtet.
Hohe Wacht
Die Hohe Wacht in der südwestlichen Ecke der Stadtmauer war eine Artilleriestellung, auf die mittels einer nicht mehr erhaltenen Rampe Kanonen gezogen wurden. Im Inneren ist der im Jahr 2006 sanierte Wehrgang gut erhalten. Der tiefe Graben feldseitig verleiht der Stadt an dieser Stelle einen burgartigen Charakter.
Kempter Tor
Das 1389 errichtete Kempter Tor besitzt noch seine spätmittelalterliche Gestalt. Ein Vortor verdeckt um 1450 gefertigte Fassadenmalereien. Mit Unterstützung des Generalkonservatoriums gelang es 1891, den Abbruch des Tores zu verhindern.
Rondell
Dem Großen Pechturm war ein Rondell vorgesetzt. Bis zum Abbruch 1805 besaß das Ensemble seine mittelalterliche Gestalt; trotz Aufschüttung des Kempter Grabens und der modernen Parkgestaltung ist das Rondell im Gelände noch ablesbar.
Pulverturm
Vollständig aus dem Stadtbild verschwunden ist die Wasserkunst, die zwar zu den Sieben Wahrzeichens Memmingens zählt, aber dem Bahnbau 1862 weichen musste. Am Wasserturm kreuzten sich einst der gewässerte Kempter Graben und der Stadtbach. Daneben wurde Trinkwasser aus dem Benninger Ried per Deichel-Leitung in die Stadt geführt und im Wasserturm mittels eine hydraulischen Anlage gehoben (vgl. Wasserkunst-Modell in Augsburg). Der ins Jahr 1380 dendrochronologisch datierte Pulverturm wurde 1862 nur teilweise abgetragen und erlebte als Belvedere eine neue Nutzung.
Kalchtor
Das mittelalterliche Kalchtor ist nur auf historischen Stichen zu sehen. Nach seiner Zerstörung 1632 wurde es zunächst notdürftig, 1706 dann in barocker Manier neuerrichtet. Mit der Öffnung der Altstadt zum Bahnhof fand die Geschichte des Tores ein jähes Ende.
Wehrgang an der Kohlschanze
Der Wehrgang zwischen Hafendeckelturm und Hexenturm entlang der Kohlschanze dürfte der älteste original erhaltene überdachte Wehrgang Deutschlands sein, wie dendrochronologische Untersuchungen des Dachstuhls ergeben haben.
Hexenturm
Der Hexenturm war einer von mehreren Gefängnistürmen. Ob hier allerdings der Hexerei beschuldigte Personen inhaftiert werden, darf bezweifelt werden. In seinem Inneren lassen sich drei Bauphasen ablesen - vom 13. über das 14. bis ins späte 15. Jahrhundert.
Wissenschaftliche Dokumentation des Denkmals
Nach mehrjährigen Recherchen und Untersuchungen vor Ort konnte Dr. Christian Kayser 2016 die Ergebnisse seines Gutachtens in gedruckter Form vorlegen. Sie gehen weit über eine touristische Beschreibung der Memminger Stadtbefestigung hinaus und ergründen mit Erkenntnissen aus Archäologie, Bauforschung und Archivalienauswertung die Geschichte der einzelnen, vielfach noch erhaltenen Bauteile der Memminger Stadtbefestigung zu einem großen Ganzen, das der Historische Verein Memmingen e.V. als 8. Band der Memminger Forschungen herausgegeben hat.
Das Buch mit zahlreichen Fotografien,
Skizzen und Bauaufnahmen
kann zum Preis von 25 Euro
beim Historischen Verein sowie
im Buchhandel bezogen werden.
Sanierung der Stadtmauer ab 2018
Nach Jahren gründlicher Vorbereitungen begann die Stadt Memmingen mit finanzieller Unterstützung von Städtebauförderung und Bayerischer Landesstiftung im Frühjahr 2018 mit der schrittweisen Sanierung der Stadtmauer. Im ersten Bauabschnitt steht die statisch-konstruktive Sicherung der Mauer vom Luginsland bis zur Ulmer Straße sowie im Bereich Kohlschanze im Mittelpunkt.