Stadt Memmingen:Memminger Freiheitsbrunnen

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Memminger Freiheitsbrunnen 1525

Im Rahmen der Neugestaltung des Memminger Weinmarktes 2008 lobte die Stadt Memmingen einen Wettbewerb um einen neuen Brunnen aus. Wettbewerbsthema waren die im März 1525 in der Memminger Kramerzunftstube am Weinmarkt verabschiedeten „Zwölf Bauernartikel“.

Im August 2009 wurden die eingereichten zwölf Brunnenmodelle von einer Jury bewertet. Ein erster Platz konnte zunächst noch nicht vergeben werden, da die Jurymitglieder in den Modellen und Konzepten den Bezug zu den Bauernartikeln noch stärker umgesetzt sehen wollten. Vier Künstler erhielten hierauf die Gelegenheit, ihre Entwürfe nachzubessern.

Im Oktober 2009 empfahl die Jury dem Stadtrat, den Augsburger Künstler Andy Brauneis mit der Gestaltung des Freiheitsbrunnens zu beauftragen.

Die Mitglieder der Jury waren:

  • Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger
  • Stadtrat Herbert Müller
  • Einzelhandelsvorsitzende und Stadträtin Mechthild Feldmeier (Aug. 2009)
    bzw. Stadtrat Hans Ferk (Okt. 2009)
  • Künstler Dieter Kunerth
  • Winfried Becker, Berufsverband Bildender Künstler Schwaben-Süd
  • Landschaftsarchitekt Ludwig Schegk
  • Kulturamtsleiter Dr. Hans-Wolfgang Bayer

Grundidee des Brunnens von Andy Brauneis sind zwölf Bronzetafeln, die - scheinbar aufeinander „gestellt“ – einen neun Meter hohen, vierseitigen Turm bilden. In den einzelnen Tafeln sind unsichtbar Düsen eingebracht, die Wasser aus der hohen Stele sprühen. Auf dem Sockel aus 49 Steinwürfeln sind auf Bronzetafeln Auszüge aus den Zwölf Bauernartikel (in der modernisierten Fassung von Heide und Steffen Ewig) zu lesen.

Dank einer großzügigen Spende über 60 Prozent der Erstellungskosten des Brunnens durch Elisabeth Bach-Schedel und Dr. Claus-Peter Bach konnte das Brunnenkonzept im Mai 2014 durch die Metallatelier GmbH realisiert werden.

Nach der erfolgten baulichen Umgestaltung des Weinmarktes in Memmingen, eines der wichtigsten Stadträume der mittelalterlichen Altstadt, soll dieser wieder einen Brunnen erhalten. Die Idee eines Brunnens ist bereits Bestandteil des umgesetzten ersten Preises des Städtebaulichen Realisierungswettbewerbs für die Umgestaltung von Weinmarkt und Rossmarkt aus dem Jahr 2007. Wenige Meter westlich der Kreuzung der Kramerstraße (Fußgängerzone) mit dem Weinmarkt (verkehrsberuhigter Bereich) soll der Brunnen seine Wirkung im Raumgefüge des Platzes entfalten; er soll den ansonsten sehr ruhig gestalteten Platzraum akzentuieren. Dieser Standort ist einzuhalten und technisch bereits vorbereitet. An fast genau derselben Stelle lässt sich auf historischen Karten und Bildern ein Brunnen nachweisen.

Als Thema für den Brunnen werden die „12 Bauernartikel“ vorgegeben, die im Jahr 1525 im Haus der „Kramerzunft“ am südwestlichen Ende des Platzes (Weinmarkt 15) verkündet worden sind.

Die besondere Stellung des Brunnens im Platzraum bedarf einer räumlichen Wirkung und somit einer dreidimensionalen Ausprägung. Andererseits ist die städtebauliche Maßstäblichkeit zu wahren und sind weitere Funktionen (Verkehr etc.) zu beachten. Der Brunnen soll der zusätzlichen Belebung der Altstadt – auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten - dienen. Er sollte im mehrfachen Wortsinn „zugänglich“ sein um von Bürgern aller (Alters-)Schichten angenommen zu werden.Darüber hinaus hat der künftige Brunnen auch eine ordnende Funktion für die Abläufe auf dem Platz, insbesondere auch für den Verkehr. Er sperrt zumindest optisch den nördlichen Teil des Weinmarktes mit den großen, attraktiven Vorzonen vor den Gebäuden für den Verkehr ab. Dieser soll nach Möglichkeit nicht durch optisch störende Einbauten wie Poller, Borde u. ä. geleitet werden. Die Andienung der Geschäfte ist zu gewährleisten. Der Brunnen sollte also eine gewisse räumliche Autorität entwickeln, ohne die gewünschten Bewegungen zu verhindern.

Vorgaben und Empfehlungen an die Wettbewerbsteilnehmer:

Im Deckenhöhenplan ist eine Grundfläche eingezeichnet, die sich städtebaulich einfügt und die erforderlichen Verkehrsbeziehungen ermöglicht. Innerhalb dieser Fläche kann der Standort variieren, dabei sollte eine Grundfläche von ca. 4 x 4 m nicht wesentlich überschritten werden. Die Microtopographie (Quergefälle) des Stadtbodens, die sich insbesondere aus entwässerungstechnischen Erfordernissen ergibt, muss bewältigt werden.

Der künftige Brunnen wird sich aus dem Trinkwasser der Stadt Memmingen speisen, das mit einem Wasserdruck von ca. 5 – 5,5 bar zur Verfügung steht. Erforderliche technische Einrichtungen zur Regulierung und Steuerung werden in einem Technikcontainer unter Flur in unmittelbarer Nähe zum Brunnen untergebracht. Elektrische Anschlüsse für eventuelle Beleuchtung sind ebenfalls vorhanden. Besonders aufwändige und damit anfällige technische Installationen werden an dieser Stelle jedoch nicht für sinnvoll gehalten. Auf eine gewisse Robustheit und Vorsorge gegen Vandalismus ist zu achten.

Es soll bewusst kein Ausschluss bzw keine Vorgabe von Materialien erfolgen, um kreative Ansätz im Umgang mit Materialien nicht von vorneherein zu unterbinden. Traditionell bewährte Materialien sind sicherlich auch für diese Situation gut geeignet; auf die Besonderheiten des historischen Kontextes sei an dieser Stelle hingewiesen.

Der Freiheitsbrunnen am Weinmarkt hat seinen Ursprung im Gedenken der Memminger Bürgerschaft an die Abfassung der 12 Bauernartikel im Jahre 1525.

Der Künstler Andy Brauneis hat dies zum Anlass genommen, eine hochaufragende Stele aus Bronze zu schaffen, deren Konstruktion auf zwölf Rechtecken basiert. Die Rechtecke sind als Paare auf sechs Etagen einander gegenübergestellt und ergeben eine teildurchlässige Säule mit einer Grundfläche von 60 mal 60 Zentimetern und einer Höhe von neun Metern. Was die Stele zum Brunnen macht, sind unsichtbare Spritzdüsen, die auf allen Etagen Wasser in einem zeitlichen Rhythmus und in feiner Dosierung austreten lassen.

Das Fundament des Brunnens ist aus sieben mal sieben Steinquadern gebildet. An dessen Außenkanten sind in Kurzform die Beschwerden und Forderungen der oberschwäbischen Bauern zu lesen, die im März des Jahres 1525 in der Kramerzunft am Weinmarkt abgefasst worden waren.

Das Treffen der Bauern in Memmingen war eine erste verfassungsgebende Versammlung, auf der Grundprinzipien politischer Gemeinwesen formuliert wurden: Freiheit, Gerechtigkeit, Wahl, Selbstbestimmung und Mitbestimmung. Als Grundlage ihrer Forderungen beanspruchten die Bauern nichts anderes als „das Evangelium zu hören und dem gemäß zu leben“. In der Heiligen Schrift lasen sie, „dass sie frei seien und sein wollen“. In den „Zwölf Artikeln“ wird unter Berufung auf „göttliches Recht“ die Universalität der Menschenrechte bezeugt, die durch kein lokales oder sonstiges Sonderrecht außer Kraft gesetzt werden dürfen. Die „Zwölf Artikel“ sind damit zu allererst ein Monument der Freiheit, das für alle Menschen und zu allen Zeiten Gültigkeit beansprucht.

Ziel der Brunnengestaltung war es deshalb nicht, die Geschichte des Bauernkriegs zu erzählen. Es stellte sich vielmehr die Aufgabe, dem hohen Gut der Freiheit und nicht zuletzt ihrer Zerbrechlichkeit eine Gestalt zu geben. Denn wir wissen, dass Freiheit, einmal errungen, nicht für immer gesichert ist. Sie bleibt verletzlich und angreifbar. Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft ist es deshalb, Freiheit wertvoll zu machen, ihr Funktionieren transparent zu halten und Bedrohungen von außen wie von innen zu benennen.

Das Bauprinzip des Memminger Freiheitsbrunnens gibt diesen Ansprüchen Form und Inhalt. Die zwölf Rechtecke unserer Stele erinnern an Tafeln und sie erinnern an die biblische Rechtssetzung. Gott überlässt Moses seine Gebote auf steinernen Gesetzestafeln. Damit ist ihnen Wert und Dauer verliehen.

Die Tafeln des Freiheitsbrunnens stehen für je einen Artikel. Aber sie sind nicht fest gemauert. Ihre Auflagen sind behutsam verzapft, die Profile schmal, die Konstruktion zeigt sich feingliedrig und beinahe fragil. Die Zartheit der Skulptur wird damit zum Symbol für ein kostbares Gut, dessen Fortbestand unsere ganze Aufmerksamkeit verdient. Das hochwertige Material Bronze trägt das seine dazu bei, diese Botschaft zu transportieren.

In Anbetracht der hohen Fallhöhe mag es eine sinnvolle Vorkehrung sein, dass das Wasser nur in feiner Dosis und wie gesprüht aus den Brunnenetagen austritt. Der produzierte Wassernebel kann sich dafür frei bewegen, er hat kein Ziel und keine Richtung, sondern erfüllt sein Umfeld wie die Luft zum Atmen. Freiheit und Menschenwürde sind keine Geschenke, sie sind jedem Menschen zu eigen und sollen überall ihre Wirkung entfalten.

Auch in der Offenheit der Konstruktion liegt Bedeutung. Von allen Seiten der Brunnenstele ergeben sich Durch- und Einblicke. Wir sehen, warum die Stele hält und was Sie zum Einsturz brächte. Genauso müssen die Bauprinzipien einer freiheitlichen Gesellschaft für Ihre Bürger einsichtig und prüfbar bleiben. Auch deshalb ist der Brunnen begehbar. Es gibt kein Wasserbassin, keine Barriere hält auf Distanz. Vor der Freiheit muss niemand ehrfurchtsvoll verharren. Um sie zu bewahren, müssen wir sie beleben und uns mit ihr auseinandersetzen.

Nicht zuletzt sucht der Brunnen Anschluss an das bauliche Ensemble seines Standorts. Die Gestaltung der feinen, vertikal aufragenden Linien korrespondiert mit der Fachwerkskonstruktion der benachbarten Weberzunft aus dem Jahr 1478. Die Brunnenskulptur steht in einem harmonischen Verhältnis sowohl zur Farbstellung der Fachwerkriegel wie zu den Proportionen der Fachwerkfelder. Der hoch aufragende Baukörper der Stele ist dem hohen Giebel der Weberzunft ein ebenbürtiges Pendant. Die Leichtigkeit der Konstruktion verhindert, dass der bedeutenden Fachwerkfassade ihre Wirkung genommen wird.

Kunst ist in vielem die Sichtbarmachung dessen, was sonst nicht sichtbar wäre. Und sie bedient sich dafür einer eigenen Sprache. Wie sonst könnte es ihr gelingen, über den Alltagsdiskurs hinauszugehen. Das ist im Übrigen keine Eigenheit der Moderne, dies gilt für alle Epochen. Berechtigung und Auftrag der Kunst nähren sich aus dem Anspruch, die Dinge mit anderen Augen zu sehen. Es darf deshalb nicht verwundern, wenn ein Kunstschaffender wie Andreas Brauneis das Gedenken an den abstrakten Wert der Freiheit in eine abstrakte Form gießt.

Dr. Hans-Wolfgang Bayer