Stadt Memmingen:Historischer Schauplatz

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Historischer Schauplatz

Schon seit dem späten 19. Jahrhundert zierte das Gebäude der Kramerzunft am Weinmarkt eine Haustafel, die nicht nur damals schon auf die Versammlung der oberschwäbischen Bauern im März 1525 in der Zunftstube der Memminger Kramer hinwies, sondern auch auf die Vorbesitzer des Erinnerungsortes, dessen Geschichte weit ins 15. Jahrhundert zurückreicht.

"Dieses Haus gehörte: 1424 dem Maler Konrad
Menger, 1433-51 dem Maler Hans Strigel, 1462-78
dem Maler und Bildhauer Ivo Strigel; 1479 kaufte es
um 460 rhein. Gulden die Kramerzunft.
Am 6. und 7. März 1525 hielten hier die aufständischen
Bauern ihre erste Tagsatzung und berieten, beeinflußt von
dem Prediger Dr. Christoph Schappeler und dem Kürschner
Sebastian Lotzer ihre Bundesordnung, die 10 Bauernartikel.
Seit 1866 hat hier seinen Sitz der Gewerbeverein."

Künstlerwerkstatt von Conrad Menger, Hans und Ivo Strigel

1433 verkauften die Erben des Malers Conrad Menger (gest. 1427) das Haus am Weinmarkt an den Maler Hans Strigel d.Ä. (geb. um 1400, gest. 1462). Das "Steinhaus samt Stallung an der Ach, sowie [das] alte Häuslein dahinter" wurden 1436/39 zu einem großen Gebäude umgebaut und aufgestockt. 1462/63 ging das Anwesen von Hans Strigels Witwe Anna an ihren Sohn, den Bildhauer und Maler Ivo Strigel (1430-1516) über.

Zunfthaus der Kramer

1478/79 verkauften Ivo Strigel und seine Frau Agathe geb. Spänin das Haus an die Kramerzunft, die einer chronikalischen Notiz zufolge 1512 die Zunftstube im Stil der Gotik vertäfeln ließ; 1519 nahmen die Kramerzünftigen hierzu Geld auf..

Kramerzunftmeister (ab 1446)

  • Georg Arnold (1444, 1445)
  • Caspar Brief (1510, 1511, 1514, 1515)
  • Hans Dochtermann (1448, 1449)
  • Jakob Federmann (1476, 1477, 1480, 1481)
  • Martin Gering (1530, 1531)
  • Andreas Hoffischer (1454, 1455, 1462, 1463, 1470, 1471, 1474, 1475)
  • Conrad Humel (1502, 1503, 1506, 1507)
  • Jörg Maler (1446, 1447, 1450, 1451, 1458, 1459, 1462)
  • Claus Mendler (1534, 1535, 1538, 1539)
  • Hans Müller (1542, 1543, 1546, 1547)
  • Matthäus Müller (1472, 1473, 1478, 1479, 1482, 1486, 1487)
  • Gregorius Sailer gen. Schütz (1484, 1485, 1490, 1491, 1493, 1495, 1498, 1499, 1504, 1505, 1508, 1509, 1512, 1513)
  • Thomas Sailer gen. Schütz (1460, 1461, 1464, 1465, 1468, 1469)
  • Hans Scherpflin (1516, 1517)
  • Konrad Spiess (1448, 1449)
  • Mathias Steinbach (1488, 1489, 1492, 1494, 1496, 1497, 1500, 1501)
  • Bernhard Strigel (1518, 1519, 1522, 1523, 1526, 1527)
  • Hans Sutter (1453, 1456, 1457)
  • Michel Wagenbühl (1552)
  • Augustin Wildprecht (1528, 1529, 1532, 1533, 1536, 1537, 1540, 1541)
  • Daniel Zangerried (1466, 1467)
  • Eberhard Zangmeister (1520, 1521, 1524, 1525)

Auszug aus der Kaufurkunde von 1478/79: "Ich Yfo Strigel, der bildhöwer, burger zu Memingen, bekenn offentlich mit dem brief für mich und alle min erben, das ich mit gutem willen von miner notdurfft und mins bessern nutzes wegen [...] den erbergn, dem zunftmaister, den aylfen und gemainen zunftgenossen der crämer zunfte zu Memingen und allen iren nachkomen, umb vierhundert und sechtzig gut gerecht rinisch guldin, dero aller ich also bar und velliclich usgericht und bezalt bin [...], zu köffent gegeben ha [...] min stainhuse mitsampt der stallung und hofraitin darneben, hie zu Memingen an der Ahe, neben Hansen Mairs huse und hofraitin gelegen, mit aller siner wytin, rechtung und zugehörde [...] alles für ledig, richtig, aigen und unverkumbert, denn das die nachgeschriben zinse järlich uff sant Martins tag darus gänd, mit namen: Hainrich Huten zu Memingen fünf rinisch guldin vellzinß und den hailgen der kirchen zu Berg zwen rinisch guldin vellzinß." (Siegel von Stadtamman Ulrich Zehender, ausgefertigt am Dienstag nach St. Nikolaus 1478)

Versammlungsort der oberschwäbischen Bauernvertreter

Im März 1525 versammelten sich in der Zunftstube der Kramer die Vertreter der oberschwäbischen Bauern zur Beratschlagung ihrer Anliegen und einer Stellungnahme gegenüber dem Schwäbischen Bund. Sie schlossen sich zu einer "Christlichen Vereinigung" zusammen und verabschiedeten eine Bundesordnung.

Mehr Informationen:

Zunfthaus, Schulbehausung und Versammlungsstätte

Als der Kaiser 1551 die Memminger Zunftverfassung durch eine patrizisch dominierte Ratsverfassung ersetzte, verloren alle Zünfte ihre bisherigen gesellschaftlichen und politischen Funktionen. Aus Teilen der Zunfthäuser wurden Wohnungen; im Zusammenhang mit seiner Bestellung zum Zunftdiener wurde dem Bürger und Gürtler Augustin Wiltbrecht 1562 auferlegt, das Haus zu reinigen, nachmittags die große Stube zu heizen, die Lagerung von Getreide auf dem Dachboden zu überwachen und bei Zechen in der Zunftstube einzuschenken. Wiltbrecht wohnte "in dem obern hindern Gemach in bemeltem Haus (wie andere Knecht vor ime auch gehabt haben)."

Die Zunftstube diente als Versammlungs- und bisweilen auch als Aufführungsort für musikalische Veranstaltungen; im ersten Obergeschoss wohnte und unterrichtete ein Lehrer des deutschen Schulwesens.

Aus einem Inventar der Zunftstube von 1735 (in mehreren Fassungen erhalten):

„Ein Gemahlter Tisch, ein sechseckerter steinerner Tisch [1743 achteckig]
Ein Zinnern Gus sampt Aichel und Wasserkessele auch Weihbronnen Geschierle sambt dem Kästle
Vier hölzerne Stühl
Gemählde: 1) Die Opferung Isaac, 2) Fides [Glaube], 3) Spes [Hoffnung]
Kupferstiche: 1) Die Kirch Christi vorstelend, 2) Den Grus Maria an Elisabeth [Englischer Gruß], der 100. Psalm auf Glas, von Herren Suppio
9 Vogel von Sturz, 30 messingne Schrauben [Wandschrauben], ein Spiegel, ein gläserne Kugel an der Bühne, 2 grosse sturzene Flaschen, 9 neue ungemahlte Schild
Heraussen [auf der Laube]: 24 Feurkübel [mit dem Stadtwappen bezeichnet], 1 langer Kehrwisch, 1 Offengabel“

1799 wohnten folgende Personen im Haus Nr. 358 (Kramerzunft)

  • Johann Georg Büchele, Kramerzunftdiener,
  • Immanuel Köberle, Schulhalter (anschließend Heinrich Albrecht, Gürtler),
  • Michael Heck, Knopfmacher und
  • Bernhart Blank, Chirurgus.

Wohnhaus

1806 verkaufte die Kramerzunft die bisherige "Schulbewohnung" im "mittleren Stockwerk des Zunftgebäudes" (Haus-Nr. 358) an den Gürtler Heinrich Albrecht, der im Erdgeschoss einen Laden betrieb. Aus einem Bericht des städtischen Baukondukteurs Johann Jodokus Knoll (20. Jan. 1806): "Diese Gelegenheit hat seinen eigenen Aus- und Eingang, an der Seite gegen Mitternacht zwischen dem Eingang zur untern Bewohnung H. Heinrich Albrecht Gürtlers und desselben Laden. Es begreift solche in sich, ausser der von unten in dieses Stock führenden Treppe eine nach der ganzen Länge des Gebäudes reichende Laube, ferner die grosse ehemalige Schulstube, ein neben befindliches Cabinet und die Küche; hinter derselben eine grosse gepflasterte Kammer mit einem kleineren Verschlage, an der entgegengesetzten Seite gegen Morgen aber eine Kammer gegen Mittag hingegen einen geräumigen Platz für Holzlege und ein eigenes S.V. Secret [WC]."

Aus der "Kramerzunft" wurde 1808 ein "Gewerbeverein" für Kramer und weitere Gewerbe (u.a. Apotheker, Bleicher, Bortenmacher, Buchbinder, Buchdrucker, Buchhändler, Bürstenmacher, Eisenhändler, Fuhrmänner, Glaser und Glashändler, Gürtler, Kammmacher, Konditor, Kaufmann, Knopfmacher, Kunsthändler, Materialist, Nadler, Säckler, Sattler, Seiler, Strumpfstricker, Wachszieher, Weinschenk).

Weibliche "Industrieschule"

1837 wurde das alte Zunftgebäude am Weinmarkt versteigert; der Stadtmagistrat erwarb es schließlich um 800 Gulden, um dorthin als Verwalter der städtischen Kultusstiftungen die 1835 gegründete "weibliche Industrieschule“ einzurichten. Seit 1829 hatte sich die Lokal-Schulkommission mit Unterstützung durch die Regierung in Augsburg beim Memminger Stadtmagistrat dafür eingesetzt, dass Dienstmägden und Bürgershausfrauen Unterricht in "Nähen, Stricken und ähnlichen weiblichen Beschäftigungen" erhalten sollten. Unterstützt wurde die "Industrieschule" durch einen eigenen Frauenverein - bis zur Gründung von "Fabrikschulen", dem Verkauf des Hauses 1866 und der Verlegung der Schule ins Volksschulhaus.

Haus des Lese- und Gewerbevereins

1866 ging das Gebäude von den Kultusstiftungen (verwaltet vom Stadtmagistrat) für 1.500 Gulden an den Gewerbeverein über, mit der ausdrücklichen Bedingung (so Friedrich Clauss in seiner Memminger Chronik, "das das altertümliche Getäfer und Schnitzwerk erhalten bleibe". Im Erdgeschoss wurde ein Laden eingebaut; die oberen Lokalitäten wurden vom 1848 gegründeten, 1859 mit dem Leseverein vereinigten Gewerbeverein genutzt ("über zwei Stiegen Lese- und Billardsaal, mit Bibliothek, dann Vorplatz mit Vereinsdienerwohnung, eigenen Abort und besonderen Stiegenhausanteil, ferner den kleineren Teil des unteren Dachbodens und den ganzen mittleren und oberen Dachboden."). Der Gewerbeverein bildete noch im selben Jahr einen Bauausschuss; 1888 wurden die "Lokalitäten des Vereins in gotischem Stile renoviert" und um ein Lesezimmer ergänzt.

Zur Jahrhundertwende war das Anwesen im Besitz folgender Eigentümer:

  • Lese- und Gewerbeverein
  • Johannes Metzeler, Privatier
  • Max Gossner, Handelsmann und
  • Karl Rehklau, Handelsmann.

Aus der Rede von Bürgermeister Hofrat Karl Scherer zum 50-jährigen Jubiläum des Gewerbevereins 1898 (Memminger Zeitung vom 31.12.1898): "In die Zeit seiner [Jakob Schmidts] Vorstandschaft fällt (und zwar 15. März 1866) die käuftliche Erwerbung der altehrwürdigen Kramerzunftlokalitäten aus dem Besitze der hiesigen Kultusstiftungen für en Gewerbeverein, der das alterthümliche Getäfel und Schnitzwerk des Saales bestens restaurieren und das daraufstoßende Lesezimmer im gleichen Stil neu einrichten ließ. Damit hat der Verein nicht nur ein schönes trautes Heim für seine Mitglieder gewonnen, sondern zugleich auch eine Sehenswürdigkeit von Bedeutung für unsere Stadt geschaffen. Ueber die reiche Geschichte des Kramerzunftgebäudes, das eines der ältesten Privathäuser unserer Stadt ist, im Jahre 1433 in den Besitze des berühmten Malers Hans Striegels und 1478 an die Zunft der "Kramer" überging, Weiteres mitzutheilen, würde den Rahmen meiner heutigen Aufgabe überschreiten."

Haus der Kreishandwerkerschaft

1936 erwarb die neu gebildete Kreishandwerkerschaft Memmingen das Haus, wobei dem Verein "Lese- und Gewerbehaus" die Räume zur Miete überlassen wurden. In den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges wurden Klassen der Berufsschule unterrichtet, da das Schulgebäude durch Lazarette belegt war. Auf Drängen der US-Militärregierung Memmingen wurde im Gebäude 1945 ein Unterrichtsraum für baltische Kinder eingerichtet. Ab 1952 befand sich die Handelsschule "Merkur" im Haus.

Rücksprachen beim Landesamt für Denkmalpflege erbrachten 1961 die Erkenntnis, dass die geschnitzte Dekoration des Saales aus neugotischer Zeit stamme und deswegen nicht unter Denkmalschutz stehe. 1963/64 wurden das Gebäude umgebaut und die Räume im 2. Obergeschoss an das Notariat Hupfauer&Lechler (später Hermann&Kassner) vermietet; die Kreishandwerkschaft bezog Räume im Dachgeschoss an der Kreuzstraße. Zum Bedauern der örtlichen Heimatpflege gingen die Wandvertäfelungen und die Saaltür verloren, während die Decke hinter einer abgehängten modernen Decke verschwand. 1977 visualisierte Kunstmaler Erich Marschner an der Hausfassade die Bauernversammlung und Verkündung der bäuerlichen Beschwerden im März 1525.

Nach dem Auszug des Notariats Memmingen aus dem Gebäude am Weinmarkt unterzog die Kreishandwerkerschaft das Gebäude 2003/04 einer umfassenden statischen Sicherung. Die historischen Räume im 2. Obergeschoss wurden zu Geschäftsräumen umgestaltet und die Decke der Zunftstube wieder freigelegt.

Literatur: Ein geschichtsträchtiges Haus ... Kreishandwerkerschaft Memmingen-Mindelheim. Einst und Jetzt, zusammengestellt von Franz Wöhrle, Michael Waibel, Dieter Spindler und die Kreishandwerkerschaft, 2004 (Darin: Daten zur Geschichte und Sanierung des Hauses, zur Kreishandwerkerschaft und zur Sanierungsmaßnahme 2003/04)

Ort der Demokratie

Im November 2020 wurde die Memminger Kramerzunft vom Bayerischen Landtag als „Ort der Demokratie“ ausgezeichnet, der - so das Präsidium des Bayerischen Landtags - zusammen mit weiteren Orten der demokratischen Entwicklung einen herausragenden Impuls verliehen habe. Ab der zweiten Jahreshälfte 2021 werden an den Orten der Demokratie Gedenkobjekte installiert und eine Wanderausstellung zu sehen sein.

Orte der Demokratie in Bayern (Pressemitteilung des Bayerischen Landtages)

Demokratie braucht Erinnerung (Pressemitteilung der Stadt Memmingen)

Kontakt

Projektbüro „Stadt der Freiheitsrechte“

Grimmelhaus
Ulmer Str. 19
87700 Memmingen

Tel.: 08331/850-478 od. -479

stadt-der-freiheitsrechte(at)memmingen.de 

Stadtarchiv Memmingen

Hier finden Sie den vollständigen Text der Zwölf Artikel in der Rubrik Quellen zusammen mit einem Digitalisat zum Download.

Historischer Verein

Eine Übertragung des Textes der Zwölf Artikel ins Neuhochdeutsche (von Heide Ruszat-Ewig) ist als Sonderheft der Memminger Geschichtsblätter erhältlich.