Stadt Memmingen:SingleNews (Archiv)

AAA
Zum Hauptinhalt

Kontakt Pressestelle

Stadt Memmingen
Pressestelle
Marktplatz 1
87700 Memmingen

Tel.: 08331/850-167
pressestelle(at)memmingen.de

Rathausinformation (Archiv)

Zur Übersicht Archiv

Reiner Kunze erhält den "Memminger Freiheitspreis 1525"

Erstellt von Pressestelle |

Preisverleihung am 20. März 2009 – Laudator ist Bundespräsident Horst Köhler

Seit dem Jahr 2005 wird der „Memminger Freiheitspreis 1525“ für Verdienste um Freiheit, Recht und Gerechtigkeit zuerkannt. Nach der ersten Preisvergabe an den ehemaligen ungarische Außenminister Dr. Gyula Horn wird es im Jahr 2009 einen zweiten Preisträger geben. Die mit 15 000 Euro dotierte Auszeichnung wird am 20. März 2009 von Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger an den Schriftsteller Dr. phil. h.c. Reiner Kunze verliehen. Die Laudatio hält der Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Horst Köhler. Mit der Erinnerung an das Bauernkriegsjahr 1525 soll das Erbe der in Memmingen von den aufständischen Bauern verfassten zwölf Bauernartikel wachgehalten werden. Dieser Forderungskatalog gilt heute als erste Formulierung von Grund- und Menschenrechten auf deutschem Boden.

„Der Freiheitspreis soll die stetige Mahnung, die Freiheit zu verteidigen, manifestieren“, eröffnete Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger das Pressegespräch im Memminger Rathaus. Die Jury des „Memminger Freiheitspreises 1525“ habe sich in großer Einhelligkeit für eine Preisvergabe an Reiner Kunze entschieden, erläutere Dr. Holzinger weiter. Die Jury ist wie folgt besetzt:

  • mit dem Oberbürgermeister der Stadt Memmingen, Dr. Ivo Holzinger,
  • dem Vorsitzenden des Kuratoriums „Memminger Freiheitspreis 1525“, Herbert Müller, MdL a.D,
  • dem Ersten Pfarrer von St. Martin, Dekan Kurt Kräß,
    sowie vier Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und öffentlichem Leben. Es sind dies im einzelnen
  • die ehemalige Bundesministerin für Familie und Jugend Renate Schmidt,
  • der ehemalige Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel,
  • der evangelische Landesbischof in Bayern Dr. Johannes Friedrich und
  • der Historiker und Bauernkriegsforscher Prof. em. Dr. Peter Blickle.

Dekan Kurt Kräß zeigte auf, dass der Preis in die Zeit der Reformation einzuordnen sei. „Die freie Reichsstadt Memmingen spielte damals eine wesentliche Rolle. Das eigenständige Denken und die freie Rede, für jeden – auch für den einfachen Bauern – zugänglich zu machen, waren und sind von besonderer Bedeutung“, brachte es der Erste Pfarrer von St. Martin auf den Punkt. Deswegen habe man „einen Mann des Wortes“ für den Preis 2009 ausgewählt. Im Hinblick auf das Kunze-Gedicht „Rudern“ bezeichnete Kräß den Preisträger als Person, der viele Stürme des Lebens überstanden habe und so Menschen auf seine bestimmte, aber unaufdringliche Art, einen „Wegweiser geben könne“. Der Memminger Rathauschef ergänzte, dass sich Kunze in seinem Leben stets für die Freiheit und das Recht auf Freiheit eingesetzt habe. „Reiner Kunze hat sich sehr überschwänglich über die Auszeichnung gefreut“, beschrieb Dr. Holzinger die erste Reaktion des Preisträgers. Er komme gerne nach Memmingen zur Übergabe des Preises. Kunze und seine Ehefrau waren vor wenigen Wochen zusammen mit dem ehemalige Bundesfinanzminister und Jury-Mitglied Dr. Theo Waigel bereits in Memmingen zu Besuch.

Reiner Kunze wurde 1933 in Oelsnitz, Erzgebirge geboren. Er studierte von 1951 bis 1955 in Leipzig Philosophie und Journalistik. Wegen des Vorwurfs der Entpolitisierung von Studenten und Verbindungen zu staatsfeindlichen Gruppen musste er 1959, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter, die Universität verlassen. Dies war das Jahr als sein erster Lyrikband unter dem Titel "Vögel über dem Tau" erschien. Ab dem Jahr 1962 ließ er sich als Schriftsteller im thüringischen Greiz nieder. Kunze stand seit 1968 und seiner Parteinahme für den „Prager Frühling“ unter der Beobachtung des Ministeriums für Staatssicherheit. 1976 erschienen in der Bundesrepublik Prosatexte unter dem Titel "Die wunderbaren Jahre“. Es wurde Kunzes bekanntestes Buch, das zugleich den endgültigen Bruch mit der DDR-Regierung bedeutete. Als Folge der Veröffentlichung wurde er aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. 1977 beantragte Reiner Kunze die Ausreise aus der DDR, die ihm kurz darauf genehmigt wurde. Er siedelte nach Obernzell-Erlau bei Passau über, wo er bis heute lebt.

Reiner Kunzes Prosa und vor allem seine Gedichte, die er seit den 1980er Jahren in vielbeachteten Lyrikbänden publizierte, sind ein Bekenntnis zum Leben und zu seinem Recht auf Entfaltung. Seine originären Sprachbilder berühren durch ihre Einfachheit, Präzision und ein Äußerstes an Menschlichkeit. Bis heute unerreicht ist sein gleichermaßen scharfsinniger wie sensibler Umgang mit der deutsch-deutschen Vergangenheit. So kurz, knapp und prägnant wie Reiner Kunze hat kaum jemand die gesellschaftlichen Zustände und Realitäten der DDR auf den Punkt gebracht. Reiner Kunze zählt zu den herausragendsten zeitgenössischen deutschen Lyrikern. Er ist präzise und schlicht zugleich, seine Sprache ist von einer humanistischen Reife geprägt, die mit wenigen, präzis gesetzten Worten ganze Landschaften und Leben heraufzubeschwören vermag.

Die Lebensleistung des international renommierten Schriftstellers entspricht nach Ansicht der Jury den Anforderungen zur Vergabe des „Memminger Freiheitspreises 1525“ in vorbildlicher Weise.

Oberbürgermeister Dr. Holzinger dankte bei dem Pressegespräch besonders dem Mäzen Fritz Brey, der die Verleihung des „Memminger Freiheitspreises 1525“ als Stifter ermöglicht.

Die besondere Wertschätzung Reiner Kunzes kommt auch in der Bereitschaft von Bundespräsident Horst Köhler zum Ausdruck, die Laudatio auf den Preisträger zu übernehmen. Die Anwesenheit des Bundespräsidenten bei der Preisverleihung am 20. März 2009 in der Kirche St. Martin in Memmingen unterstreicht aber auch den Rang, welcher der Abfassung der zwölf Bauernartikel innerhalb der Geschichte der Freiheitsbewegungen in Deutschland zugemessen wird. Bereits im Jahr 2000, anlässlich der Memminger Gedenkfeier zur 475. Wiederkehr des Abfassung der Zwölf Artikel, bezeichnete Bundespräsident Dr. h.c. Johannes Rau die Beschwerdeschrift der oberschwäbischen Bauern als die erste demokratische Verfassungsurkunde auf deutschem Boden. Als frühe Formulierung von Grund- und Menschenrechten, wurden die Bauernartikel erst wieder 1848 in der Paulskirchenverfassung aufgenommen und letztlich mit der Weimarer Reichsverfassung im Jahr 1919 erstmals geltendes Recht in Deutschland.

Der Vorsitzende des Kuratoriums „Memminger Freiheitspreis 1525“, MdL a.D. Herbert Müller, betonte die internationale Bedeutung des Preises und ging auf die Einzelheiten der Preisverleihung ein: „Den Kern der Veranstaltung bildet vormittags der Festakt in der Kirche St. Martin“. Auch gäbe es eine feierliche Verlesung der 12 Bauernartikel auf dem Marktplatz und einen Besuch im Gebäude der Kramerzunft, in dem seinerzeit die Artikel verfasst wurden. „Die Preisverleihung im nächsten Jahr wird von einem vielfältigen Rahmenprogramm begleitet“, stellte Müller den Anwesenden vor. Neben einer Ausstellung heimischer Künstler zum Thema Freiheit werde es neben musikalischen Veranstaltungen und hochkarätig besetzte Podiumsdiskussionen auch verschiedene Events von Schulen und Jugendverbänden geben. „Es ist uns besonders wichtig, die junge Generation mit in das Programm einzubinden. So können wir die Jugendlichen auf das Thema „Freiheit“ sensibilisieren“, betonte Müller, denn Freiheit müsse immer wieder erneut erkämpft werden. Dekan Kräß wies auf das bereits uraufgeführte Theaterstück „Lotzer“ des Landestheaters Schwaben und auf eine geplante Veranstaltung des Arbeitskreis christlicher Kirchen zusammen mit Vertretern der islamischen Religion hin.

Mit dem „Memminger Freiheitspreis 1525“ werden alle vier Jahre Persönlichkeiten, Verbände, Initiativen ausgezeichnet, die sich im Namen der Menschenwürde für Freiheit, Recht, Gerechtigkeit einsetzen. In ihrem Bestreben Machtmissbrauch aufzudecken und zu verhindern sind sie ermutigende, motivierende Vorbilder in unserer Gesellschaft. In den Artikeln der Bauernschaft wurden auf der Grundlage des Evangeliums zum ersten Mal grundlegende Freiheitsrechte für Menschen eingefordert und in christlicher Verantwortung in einzelnen Forderungen nach Gerechtigkeit konkretisiert. Freiheit ist zu allen Zeiten ein Gestaltungsprozess, nie abgeschlossen, oft gefährdet, ein Prozess, der das Gespräch mit allen Gruppen der Gesellschaft braucht und sucht. Ergebnis dieses Prozesses ist die Formulierung von Recht, das Gerechtigkeit zum Ziel hat. Auf der Grundlage der Freiheitsrechte für jeden Menschen fordern die Bauernartikel die Legitimation und Beschränkung von staatlicher Gewalt. Macht darf nie willkürlich ausgeübt werden. Sie hat vielmehr der Freiheit und der Gerechtigkeit zu dienen. 

Reiner Kunze
Der zweite Preisträger des „Memminger Freiheitspreises 1525“, Dr. phil. h.c. Reiner Kunze. Foto: Jürgen Bauer
Beim Pressegespräch im Rathaus wurde der Preisträger des "Memminger Freiheitspreises 1525" bekanntgegeben.
Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger (Mitte), der Vorsitzende des Kuratoriums „Memminger Freiheitspreis 1525“ und Landtagsabgeordnete a. D. Herbert Müller (links) sowie Dekan Kurt Kräß bei der Pressekonferenz im Memminger Rathaus. Foto: Pressestelle Stadt Memmingen