Die erste Führung dieser Saison fand jetzt auf dem Alten Friedhof zum Thema „Händler und Fabrikanten“ statt. Über 80 Interessierte hatten sich eingefunden und lauschten, auf zwei Gruppen verteilt, unter anderem den Biografien der Familien von Roeck, Gradmann, Flach, Besemfelder, Haußmann und Schwarz. Namen, die in der Stadt noch immer ein Begriff sind, wie Claudia Berg vom Förderverein Alter Friedhof anhand der Beispiele Flach-Villa oder Roeckmühle zeigte.
Von Stärke-, Pulver- und Kattunfabrikanten, Mühlenbesitzern und Bankiers, aber auch Privatiers war die Rede. Viele wirkten vielfältig für die Stadt, z. B. als Bürgermeister (Julius von Roeck) oder Magistrat (Wilhelm Hugo Besemfelder). Auch für den Eisenbahnbau, im 19. Jahrhundert eine Weichenstellung für die Stadt, oder den Gerichtsstandort Memmingen mit dem Bezirksgericht (dem heutigen Landgericht) setzte sich die Bürgerschaft der Stadt ein und sprach dazu mehrmals beim König vor. Die Stadtgeschichte im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, aber auch die Durchschnittsbiografien der kleinen städtischen Oberschicht wurden klar und verständlich dargebracht und so verließen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer um einiges stadtgeschichtliches Wissen reicher den Alten Friedhof.
Die Führung bildet den Auftakt einer Reihe von Führungen, die sich in den Sommermonaten jeweils am ersten Samstag einer anderen Berufsgruppe in der Stadt widmet. Die Rundgänge stellen verschiedenste Berufsgruppen wie Ärzte und Apotheker oder Brauereibesitzer anhand ihrer Grabmäler vor und werden vom Förderverein Alter Friedhof Memmingen e.V. angeboten. Die Teilnahme ist jeweils kostenfrei.
Im 19. Jahrhundert änderte sich auch in Memmingen die Wirtschaftsstruktur. Statt der Handwerker, die in Zünften zusammengeschlossen waren und nur kleinen Betrieben vorstanden, expandierte die Wirtschaft ohne Zünfte. Fabriken aller Art entstanden, die sogar bis Ende des 20. Jahrhunderts existierten. Gleichzeitig sorgten Händler aller Art für ein vielfältiges Warenangebot in der Stadt. Die Führung wird die geschichtliche Entwicklung der lokalen Wirtschaft in Memmingen anhand von Persönlichkeiten, die auf dem Alten Friedhof ihre letzte Ruhe fanden, nachzeichnen.
Die Geschichte des Friedhofs reicht ins Jahr 1529 zurück, als die Reichsstadt Memmingen die bisherigen Friedhöfe bei St. Martin, Unser Frauen und im Spital aus Platzmangel schloss und im Bereich des ehemaligen Schottenklosters St. Nikolaus einen neuen Friedhof einrichtete. Nach 400 Jahren wurde der Friedhof 1920 geschlossen. Dieses einzigartige Ensemble aus aufgelassenen gut erhaltenen Familiengrabstätten namhafter Memminger Familien eingebettet in einen Park und umrandet von einer stattlichen Friedhofsmauer ist heute eine Rarität in Bayern und steht in seiner Gesamtheit unter Denkmalschutz.
Die barocken Grabmonumente alter Patriziergeschlechter wie derer von Grimmel, von Wachter oder von Zoller verweisen auf Familien, die vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert die Geschichte der Stadt als Bürgermeister, Räte oder Richter entscheidend mitbestimmt haben. Doch auch an angesehene Handwerker- und Bürgerfamilien erinnert mancher Grabstein. In Verbindung mit familien- und stadtgeschichtlichen Informationen lässt sich im Alten Friedhof ein Stück Memminger Stadtgeschichte nachzeichnen, weshalb es auch so wichtig ist, die Erhaltung der Grabstätten zu gewährleisten.