Der Arm sieht schlimm aus: rot-graue Haut, übersät von leicht verkohlten Brandblasen. Sebastian Daasch schaut trotzdem entspannt zu, während sein Arm behandelt wird – mit Schminke und Modellierwachs. Der junge Mann, ein Notfalldarsteller des Bayerischen Roten Kreuzes Augsburg, wird als Unfallopfer mit Verbrennungen dritten Grades geschminkt. Gemeinsam mit ihm bereiten sich 17 andere Frauen, Männer und Jugendliche auf ihre Rolle als Verletzte und Verstörte bei einer Katastrophenschutzübung vor. Das Einsatzszenario: ein simulierter Chemiebrand bei der Firma Gelita in der Alpenstraße.
Die Notfalldarsteller liegen Minuten vor dem gestellten Unfall in ihren angewiesenen Positionen auf dem Boden oder laufen unter Schock umher. Ein Lastwagen steht schräg zwischen Silos, Nebelwerfer simulieren Rauchentwicklung und Brand. Um 18:56 Uhr setzt ein Mitarbeiter der Firma einen Notruf ab, er berichtet der Rettungsleitstelle von einem LKW-Brand.
Andreas Land von der Memminger Feuerwehr klärt eine Reihe Beobachter von Polizei, Rettungsdiensten, Stadtverwaltung und Feuerwehr über das Szenario auf: Ein LKW-Fahrer erleidet in seinem mit Salzsäure beladenen Lastwagen einen Schwächeanfall und rammt ein Silo auf dem Firmengelände. Salzsäure läuft aus, das Gebäude fängt Feuer. „Die Einsatzkräfte sind über eine Übung informiert, aber sie wissen nicht, was sie erwartet“, erläutert Land. Gemeinsam mit seinem Feuerwehr-Kollegen Roland Stoeber hat er das Übungsgeschehen in den vergangenen Monaten akribisch vorbereitet.
Ein erster Löschzug und Rettungsfahrzeuge treffen ein und schnell wird den Rettern klar: Hier muss nachalarmiert werden, es dreht sich um einen Chemie-Unfall. Feuerwehrleute sondieren die Lage: Wo sind Verletzte, ist das Gebäude einsturzgefährdet? „Diese erste Phase ist die so genannte Chaosphase, in der die Rettungskräfte die Lage analysieren müssen“, erklärt Land. Einige Feuerwehrleute richten ein Strahlrohr mit Wassernebel auf den LKW, um den vermeintlichen Säuredampf herunterzudrücken. Das Technische Hilfswerk rückt an und stützt den einsturzgefährdeten Silo mit einem Gerüst. Etwas abseits hat die Feuerwehr eine Art Dusche und einen auf dem Boden liegenden Wasserring zur Dekontamination von Verletzten aufgebaut, die mit Säure in Kontakt gekommen sind.
Bei aller Geschäftigkeit ist es erstaunlich ruhig an der Unfallstelle, beobachtet Gelita-Werksleiter Thomas Zettl. „Als Laie ist man von Heldenfilmen geprägt. Wenn die Feuerwehr kommt, geht es ab.“ Andreas Land schüttelt den Kopf. In der Realität sei bei aller Schnelligkeit vor allem Besonnenheit angesagt, denn kein Retter soll selbst verletzt werden.
Die Einsatzfahrzeuge kommen mit Blaulicht, aber ohne Martinshorn an, um niemanden zu beunruhigen. Einige Schaulustige haben sich trotzdem vor dem Firmengelände eingefunden. Im Empfangsgebäude des Unternehmens sprechen Mitglieder des Katastrophen-Führungsstabs mit Werksleiter Zettl die im Ernstfall notwendige Information von Medienvertretern durch. In welchem Raum könnten Journalisten arbeiten? Wie können Informationen möglichst schnell gegeben werden? „Die Übung ist für uns eine gute Gelegenheit, unsere Sicherheitsvorkehrungen und Maßnahmenpläne unter realen Bedingungen zu testen und weiter zu verbessern“, betont Zettl.
Nach 30 Minuten sind manche Verletzte im Gefahrengebiet noch unversorgt. Die Übungsleitung spielt einen Betriebsangehörigen: „Meine Kollegen haben oben im Silo gearbeitet, die müssen da noch drin sein“, informiert Land den Einsatzleiter. Stadtbrandrat Raphael Niggl gibt Anweisungen, Verletzte mit Hilfe einer Drehleiter im oberen Silobereich zu suchen.
Bürgermeisterin Margareta Böckh kommt in Vertretung des Oberbürgermeisters und macht sich ein Bild vom Ausmaß des Unfalls. „Die Einsatzkräfte leisten gute Arbeit“, beobachtet sie.
Nach einer Stunde zieht die Einsatzleitung vorübergehende Bilanz. 250 bis 300 Einsatzkräfte sind zu diesem Zeitpunkt beteiligt. Es fällt die Entscheidung, dass die nächste Alarmierungsstufe ausgerufen werden muss. Was konkret heißt, dass Stadtbrandinspektor Wolfgang Bauer als Örtlicher Einsatzleiter die Koordinierung aller Einsatzkräfte von Feuerwehr, THW und Rettungsdiensten übernimmt. Um 20:40 Uhr haben sie die gespielte Lage im Griff, die Übung ist zu Ende und die Retter verschnaufen bei einer Brotzeit in der Werkstatthalle der Firma Gelita.
Informationen zum Unternehmen GELITA
Die GELITA Gruppe ist einer der führenden Hersteller von Kollagenproteinen weltweit und mit 21 Werken auf allen Kontinenten vertreten. Kollagenproteine finden als Gelatine Verwendung in der Herstellung von Lebensmitteln, pharmazeutischen Produkten und technischen Anwendungen. Kollagenpeptide sind aktive Bestandteile bei der Herstellung von Produkten gegen Gelenk- und Knochenbeschwerden, zum Muskelaufbau, zur Gewichtsreduktion und der Reduktion von Falten. Die Konzernverwaltung der GELITA Gruppe befindet sich in Eberbach, Deutschland. 2015 hat die Firmengruppe mit mehr als 2.400 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 675 Millionen Euro realisiert. In Memmingen produziert Gelita bereits seit 40 Jahren. Insgesamt arbeiten am Standort über 100 Mitarbeiter.